Ein Schweigen
Un silence
Der belgische Regisseur Joachim Lafosse seziert mit pathologischer Präzision innerfamiliäre Gewebe und die dichten Geflechte von Beziehungen zwischen Paaren und deren Kindern. Blutleer sind sie nicht. Im Gegenteil. Man spürt stets Herz, Puls – ein Beben.
Das (Ver-)Schweigen kommt, eng begleitet vom Lügen, sehr weit vorn, bevor sich Familien pulverisieren. Es ist ein altes Kinothema.
Sicher hatten auch Astrid und François damit gerechnet, das dunkelste Kapitel ihrer Ehe, geschrieben vor 30 Jahren, durch die Zielgeraden zu bringen. Doch der renommierte Anwalt, gerade im Rampenlicht bei einer Verteidigung nach Kindsmord, wird noch überholt, während seine Frau versucht, das Kartenhaus vor dem Einsturz zu bewahren. Die Verbitterung von Tochter Charlotte, selbst schon Mutter, erwacht im Schmerz, weil sie um Geschehenes weiß. Adoptivsohn Raphael aber gerät, unwissend wie er ist, vollends in den Strudel juristischer Ermittlungen. Vor allem hat er Fragen an die Eltern. Fragen über Fragen.
Joachim Lafosse schlachtet nicht aus. Bevor er seziert, schaut er sehr genau hin.
Andreas Körner
