Körners Corner - schreiben über Film


3. Mai 2024

Es hat nicht sollen sein

Die Kamera zielt zumeist von nebenan. Im Restaurant vom Tisch gegenüber, auf der Straße vom Hügel auf der anderen Seite, im Auto vom Rücksitz. So viel Respekt beim Beobachten von Frau und Mann war lange nicht im Kino. Manchmal sind Close-ups von Gesichtern eben nicht die Lösung. Nicht, wenn Menschen vor allem ängstlich sind beim Gedanken, was ganz bald auf sie zukommen könnte.
Regisseur Stéphane Brizé, den man nach DER WERT DES MENSCHEN und STREIK schon als profunden Spezialisten für Porträts von Individuen in Arbeitswelten „verloren“ glaubte, entwirft mit ZWISCHEN UNS DAS LEBEN die zärtliche wie behutsame, federleicht anmutende und doch gewichtige Skizze eines Treffens am Meer. Es hat allein mit Liebe und ihren Aggregatzuständen zu tun.
Mathieu ist bekannt. Er hat sich als Filmschauspieler einen Namen gemacht, am Wagnis, in Paris Theater zu spielen, droht er zu scheitern. Die Auszeit an der bretonischen Küste ist eine Flucht, die Thalassopackung im Wellnesshotel gleicht einem engen Kostüm. „Ich liebe alle Filme, in denen sie spielen“, sagt man ihm wie nebenbei und vor allem überall, Selfie auf der Massageliege inklusive.
Alice, eine eher stille, nachdenkliche Frau, lebt jetzt hier oben im Norden, ist Klavierlehrerin, hat geheiratet und eine 15-jährige Tochter. Dass Mathieu in der Drehe ist, wird kein Geheimnis bleiben. Für sie darf es das nicht, denn die beiden waren zusammen. Vor 16 Jahren. Mit einer winzigen Nachricht auf Papier, mit Gesprächen im Café und, ja, einer Hochzeit, schüttelt sich die Heftigkeit der Erinnerung für eine nächste Frau und einen nächsten Mann aus dem Alltag und wird zur Begegnung. Allein die Hochzeit! Stéphane Brizé holt so, als sei es nichts, ein herziges älteres Paar aus dem Hut und zwei Vogelstimmenimitatoren, die man sofort buchen mag.
Alba Rohrwacher – bei der die Lust immer größer wird, sie wie Meryl Streep im Kino altern zu sehen – und Guillaume Canet zaubern aus Alice und Mathieu einen heftig berührenden Zweier, der es gemeinsam nicht durchs Leben schaffte. Dass es möglich gewesen wäre, kommt zur Sprache. Auch das.

Post für Andreas Körner